Die Zeit steht still
Kolumne “Kunst Stücke” im Tagesspiegel: Marcus Woeller sucht Abkühlung vor der Glut der Sonne.
Momentan ist der Süden nicht ganz so weit von Berlin entfernt wie sonst. Denn an diesem Wochenende wird noch größere Hitze erwartet. In meteorologischer Voraussicht zeigt die Galerie Susanne Albrecht die passende Ausstellung dazu: „El Sur“. Drei Künstler aus Spanien repräsentieren eine Hommage an den gleichnamigen Film von Victor Erice, in dem ein Mädchen aus dem Norden fasziniert ist vom mysteriösen Süden. Rafael Cidoncha hält in fotorealistischer Manier eine Landschaft bei Sevilla fest. Vor blauem Himmel breiten sich Hügel um ein kleines Gehöft aus. Die Bäume tragen das warme Grün des Sommers, die Böden sind unter der Sonne längst ausgedorrt. Auch in der Ansammlung von Kakteen verfängt sich das erbarmungslose Licht und strahlt aus dem Gemälde mit ungebremster Intensität (je 22.000 Euro).
Der Vater der Fotografin Amparo Garrido stammt aus Andalusien. Für sie selbst ein eher fremdes Land. Also reiste sie in seine Geburtsstadt und verbrachte dort neun Monate, um den Menschen näherzukommen, ihrem Alltag und ihren Ritualen. Drei Videos sind dabei entstanden, die vor allem offenbaren, dass die Zeit im Süden eine andere Qualität hat. Sie erscheint unendlich gedehnt, wenn die Kamera über monotone Plantagen gleitet, Bauern bei der stupiden Arbeit des Oliveneinlegens beobachtet oder dem deklamatorischen Flamencogesang der Männer in einer Bar folgt (4.000 – 6.000 Euro). Auch das große Landschaftsgemälde von Daniel Enkaoua wirkt entschleunigt. „El Penedès“ liegt einfach nur da unter schwer dunstigem Himmel. Die Zeit ist hier so langsam geworden, als hätte sie aufgehört zu existieren (60.000 Euro).
John Stezakers Ausgangsmaterial für seine neuen Collagen, die er jetzt unter dem Titel „Crossing Over“ in der Galerie Capitain Petzel vorstellt, hat ebenfalls die Zeit eingefroren. Aus dem Archiv eines eingestellten Kinomagazins erwarb der englische Künstler ein Konvolut an Filmstills. Mit einfachsten Mitteln bringt er nun Bewegung hinein und wirbelt Bild- und Zeitebenen durcheinander. In der Kombination zweier Fotos erschafft er etwa Zwitterwesen, baut absurde Landschaften, stört die ursprüngliche Bildaussage. Seine rasant geschnittenen Videos von Pferdebildern, Kirchenfotos oder Massenszenen kann man ebenfalls als Collagen bezeichnen. Denn die Einzelbilder verschmelzen in der reizüberflutenden Animation (Preise auf Anfrage).
Rafael Cidoncha, Daniel Enkaoua & Amparo Garrido, ”El Sur”, Galerie Susanne Albrecht, bis 3. August, Charlottenstr. 78, Berlin-Mitte; John Stezaker, “Crossing Over”, Galerie Capitain Petzel, bis 31. August, Karl-Marx-Allee 45, Berlin-Mitte