Marcus Woeller
Kunsthistoriker & Journalist
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    Kunst Stücke, Kolumne vom 22. Juni 2013, Berlin

    Kunst Stücke, Kolumne vom 22. Juni 2013, Berlin

    24. Juni 2013
    Author: marcus
    Category: Kunst
    Tags: Abstraktion, Akt, Bronze, Farbe, Gotthard Graubner, Kohle, Kolumne, Kunst, Kunst Stücke, Kunstmarkt, Medardo Rosso, Skulptur, Transparenz, Wachs, Wolfgang Werner, Zeichnung

    Diese Energie!

    Kolumne “Kunst Stücke” im Tagesspiegel: Gotthard Graubner und Medardo Rosso bei Wolfgang Werner.

    Verspüren Sie auch manchmal das Bedürfnis sich im Museum spontan gegen die Wand zu werfen und sich wider alle konservatorische Vernunft direkt an die Farbe zu schmiegen? Kein Wunder, hängen doch in fast jeder Abteilung für moderne Kunst diese großen, weichen Kissenbilder von Gotthard Graubner. „Farbraumkörper“ nannte der Künstler die sich in die dritte Dimension wölbenden Gemälde, die als flimmernde und nie völlig monochrome Polster ihre in lasierenden Schichten aufgetragene Farbe tatsächlich auszuatmen scheinen. Solche Experimente, aus der Fläche diffuse Räume entstehen zu lassen, machte Graubner zu Beginn der 1970er Jahre auch in seinem beinahe unbekannten zeichnerischen Werk, das der Kunsthandel Wolfgang Werner zurzeit präsentiert. Amorph abgerundete, rechtwinklige Formen in Kohle oder Graphit auf Bütten (12.000 Euro), aber auch transparent schraffierte Flächen auf hauchzartem Synthetikpapier (12.000 Euro) stehen in direkter Verbindung zu den sinnlichen Leinwänden. Die auf 1980 datierten „Feuervögel“, großformatige Pastellzeichnungen von gestischen Farbschwüngen (16.000 Euro), wirken dagegen wie abstrakte Paraphrasen auf das eigene Schaffen. Vor wenigen Wochen verstarb Graubner kurz vor seinem 83. Geburtstag. In seine letzte Ausstellung, die er noch selber hängen konnte, integrierte er außerdem vier frühe Aktzeichnungen (14.500 Euro), die schon 1956 während seines Studiums an der Kunstakademie Düsseldorf entstanden. Verhalten figurativ stehen sie in deutlichem Kontrast zu seinem gegenstandslosen Werk, nehmen aber hier gekonnt den Kontakt auf zu einer kleinen Bronzeplastik, die sich aus einer zweiten Ausstellung bei Wolfgang Werner vorwagt.

    Medardo Rossos „Malato all’ospedale“ von 1889 setzt sich ähnlich wie Graubners Akte hauptsächlich aus den Lichtreflexen grober Ecken und Kanten zusammen, welche die Form aber schließlich als Figur eines Greises definieren, der versucht, sich aus seinem Krankenstuhl zu erheben. Rosso, der 1858 in Mailand geboren wurde, aber in Paris lebte und arbeitete, gehört als Zeitgenosse und Gegenspieler von Auguste Rodin zu den Künstlern, die der Bildhauerei im Gefolge des Impressionismus den Weg in die Moderne ebneten. Er wollte die Skulptur nicht nur von ihrem Sockel emanzipieren, sondern auch von ihren Betrachtern. In der Regel besitzen seine Porträtbüsten und Kopfstudien deshalb nur eine Schauseite. Bewegt man sich um sie herum, rückt die Bearbeitung in den Fokus und man bemerkt, dass die Wachsplastiken einen Kern aus Gips besitzen oder erkennt, wie pragmatisch die Skulpturen auf ihren Podesten montiert sind. Mit Graubner verbindet Rosso auch das Interesse an Transparenzen und die Arbeit in Serie. So wiederholte er etwa die lichten Modellierungen eines „Bambino ebreo“ in den Jahren 1892/93, um die Nuancen eines Gesichts im Wandel seiner emotionaler Regungen darzustellen. Durch die virtuose Beherrschung des Materials scheint Rossos Skulpturen (275.000 bis 850.000 Euro) dabei stets eine immanente Bewegung eingeschlossen, die noch so viel Energie hat, als könne sie sich jederzeit wieder freisetzen.

    Medardo Rosso, „12 Skulpturen“ und Gotthard Graubner „Zeichnungen“, noch bis 29. Juni 2013, Di. – Fr. 10 – 18 Uhr, Sa. 11 – 15 Uhr, Kunsthandel Wolfgang Werner, Fasanenstr. 72, 10719 Berlin (Foto: Medardo Rosso, “Carne altrui”, 1883/84; Gotthard Graubner, “Ohne Titel”, 1956, Kunsthandel Wolfgang Werner)

    (Der Tagesspiegel)

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    Marcus Woeller

    Ich lebe in Berlin und arbeite als freier Journalist und Redakteur. Meine Reportagen, Berichte und Kritiken über Kunst und Architektur, Mode und Design, Räume und Orte, Essen und Trinken habe ich in der tageszeitung, der Welt und der Welt am Sonntag, der Frankfurter Rundschau, dem Tages-Anzeiger Zürich, der Berliner Morgenpost, bei artnet und anderen Onlinemedien veröffentlicht Als Kulturredakteur und Textchef gab ich dem Magazin Style and the Family Tunes Inhalt und Schliff. Ich habe als Videoredakteur gearbeitet und das Projektmanagement für verschiedene Corporate-Publishing-Formate geleitet.

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