Abgekühlte Avantgarde
Mit Mireille Mathieu und Bubikopfperücken am Brandenburger Tor – die Berliner Labels Kilian Kerner und Perret Schaad präsentierten bei der Fashion Week ihre neuen Kollektionen.
So ähnlich muss sich der in der Nuntiatur des Vatikans verschanzte Noriega gefühlt haben, damals in Panama, als die US-Marines 1990 die Lautsprecherboxen ganz weit aufdrehten, um ihn zur Aufgabe zu zwingen. Vor der Modenschau von Kilian Kerner sollte die volle Dröhnung Mireille Mathieu wohl als Anheizer dienen, wurde bei vielen Gästen aber auch als Bestrafung empfunden. Hinter den Kulissen nicht von Paris, aber des Fashion-Zeltes am Brandenburger Tor bereitete sich der Designer währenddessen auf seine Jubiläumsshow vor.
Kilian Kerner nimmt zum zehnten Mal an der Berliner Fashion Week teil. Damit ist er Rekordhalter. Und einer, der sich nicht hat abschrecken lassen von Spott und herber Kritik. Denn Willensstärke allein machte noch keine guten Schnitte. Inzwischen hat er dazugelernt und ist mit viel Beharrlichkeit – und guten Kontakten in die Welt der B-bis-D-Prominenz – ein Aushängeschild für die Modewoche geworden.
Kilian Kerner propagiert Tragbarkeit mit seiner Kollektion Herbst/Winter 2013/14.
Mit viel Schwarz beginnt die Show für die Models unter Bubikopfperücken. Ein geradliniger Mantel mit betonter Schulterpartie funktioniert auch als Kleid. Männer tragen kastenförmige Trenchcoats aus Wollstoff, schmale Anzüge oder Collegejacke. Einen Damenanzug akzentuieren tiefgeschnittene Dreiviertelhosen, ein breiter Gürtel das strenge Kostüm. Kerner propagiert Tragbarkeit.
Formale Experimente gehen nicht immer so gut auf. Ein Lederoberteil ist extravagant drapiert wie eine Blumenvase von Alvar Aalto, auf die Tüllapplikationen könnte man aber verzichten. Ein Abendkleid erscheint wie aus Wurstscheiben zusammengeklebt.
Glanzeffekte und Perlmuttfolie
Das Modeunternehmen Kilian Kerner wurde kürzlich in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. In den Hackeschen Höfen betreibt es seinen Flagship-Store. Wer kommerziell Erfolg haben will, muss tragbare Mode entwerfen, sollte auf den Shows aber nicht langweilen. Für sein Jubiläum hat der Designer dennoch kein großes Feuerwerk gezündet. Stattdessen bemüht er sich, eine umfassende und hochwertige Kollektion zu zeigen. Fließende Wollstoffe dominieren. Die Farbpalette mit Bordeaux, Senfgelb, Grautönen, Dunkelbraun wirkt stimmig. Doch seine Käufer verlangen offenbar nach Pailletten und Glanzeffekten.
Ein guter Griff ist da die semitransparente Perlmuttfolie, die Kerner für seine Herbst/Winter-Kollektion 2013/14 aufgetrieben hat. Ihm gelingt es, das irisierende Technomaterial geschickt zu kombinieren, etwa als knielanger Rock zum Grobstrickoberteil oder als offener Mantel über dem Retropulli. „I Am Shy, Not Me“ steht auf so einem Teil und scheint die eigentliche Botschaft Kilian Kerners zu sein. Aus unerfindlichen Gründen hat er seine Show aber „Erzähl mir wie du heißt“ genannt.
Bei Perret Schaad trifft kühle Avantgarde auf klassische Eleganz.
Die Macherinnen von Perret Schaad heißen Julia und Tutia und sind nun auch schon seit 2010 bei der Berliner Fashion Week dabei. Die beiden Absolventinnen der Kunsthochschule Weißensee gründeten ihr Label vor kaum mehr als vier Jahren. Ihre Kollektionen definieren Tragbarkeit nicht bloß als Mittel zum Zweck, sondern als kreative Struktur, in der abgekühlte Avantgarde auf klassische Eleganz trifft.
So wirkte die Kollektion, die sie am Dienstagnachmittag präsentierten, wenig spektakulär, im Detail aber entschieden mutig. Für ihren selbstbewussten Umgang mit Farben sind die beiden Designerinnen bekannt. Schon das erste Outfit machte deutlich, dass Perret Schaad diesen Stil fortsetzen wollen. Der kupferfarbene Satinrock wird mit einem zinnoberroten Oberteil und einer graumelierten Strickjacke kombiniert. Die handwerklich virtuose Technik zeigt sich im Detail. Der Rock ist schlicht, aber fließend und setzt nur auf das Schillern des Seidenmaterials. Die grob gestrickte Jacke punktet nicht nur mit dem Materialgegensatz, sondern auch mit dem Volumen der tief unter der Schulterpartie angesetzten Ärmel, die gleichzeitig eine Art Schalkragen bilden. Der grelle Pullover mit seinem schmalen Bund versucht gar nicht erst zwischen den beiden Extremen zu harmonisieren, sondern besticht durch puren Kolorit.
Zinnober taucht noch einmal in einer Marlenehose auf, die mit einem grauen Spitzenoberteil kombiniert wird. Knapp bauchfreie Seidentops werden zur Pumphose getragen. Perret Schaad zeigten eine ausgereifte Kollektion. Ihnen gelingt sogar der heikle Umgang mit Glitzerstoffen, eben weil sie nicht auf Bling-Bling aus sind, sondern auf dezente Irritationen. Ein bronzefarbener Pullover mit engen Bündchen wirkt wie eine Bomberjacke, der kurze hellgraue Wollrock erdet den metallischen Effekt. Asymmetrien von Kleidern gleichen sich vice-versa aus. Ein flatterndes Mikrofasercape entsteift das schlichte Etuikleid. Nur die Schleppen an verschiedenen Stellen tragen etwas auf.