Den Ort spezifisch machen
Der Bildhauer Erich Reusch, der vor 35 Jahren das Ehrenmal 20. Juli 1944 im Bendlerblock entworfen hat, zeigt ältere Plastiken und neue Wandobjekte in der Berliner Galerie Aurel Scheibler.
Seit den 1960er Jahren gibt sich die Kunst gern ortsspezifisch. So, als könne das jeweilige Kunstobjekt nur hier und nicht auch dort so existieren. Besonders in der Konzeptkunst und Land Art bedingen sich Kunst und Ort tatsächlich wechselseitig. Erich Reusch macht dagegen mit seinen Bodenskulpturen und Wandarbeiten den Ort spezifisch.
Leicht fröstelnd steht der fast neunzigjährige Künstler im Ehrenhof des Bendlerblocks und blickt mit unverhohlener Missachtung auf den Bauzaun, der den architektonischen Raum rüde verkürzt. 1979 war Reusch mit der Umgestaltung des Mahnmals der Gedenkstätte Deutscher Widerstand für die hier erschossenen Verschwörer um Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg, deren Attentat auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944 gescheitert war, beauftragt worden. Die Raumwirkung des Ensembles aus einer Bodenplastik, einer überlebensgroßen Skulptur, der einheitlichen Pflasterung und dem Ehrenhain sei angesichts der aktuellen Baumaßnahmen aber nicht mehr nachvollziehbar, ärgert er sich. Denn um die Wahrnehmung des Raums geht es Reusch in allen seinen Arbeiten.
Neugestaltung des Mahnmals in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin
Im Boden eingelassen sind zwei verschiedene hohe, abgetreppte Riegel aus bearbeiteter Bronze. Die diskret feierliche Wirkung verbietet ein Übersteigen, man weicht nach links oder rechts aus, um sie zu umrunden. Wie eine transparente Barriere versperrt die Bodenplastik den Weg, aber nicht die Sicht. Die fällt auf die Skulptur eines nackten, an den Händen gefesselten Mannes. Eine Figur, die Reusch lieber selbst modelliert hätte, wie er mit einer Mischung aus Abwehr und Entschuldigung betont. Denn der „Jüngling mit gefesselten Armen“ stammt vom Chemnitzer Bildhauer Richard Scheibe und wurde 1953 anlässlich der ersten Einrichtung des Ehrenmals hier aufgestellt. Damals allerdings noch seitlich stehend, auf einem hohen Sockel von Randsteinen und Blumenrabatten umgeben.
Mit einer derlei konservativen Kunstauffassung hatte Reusch schon während seines Studiums der Bildhauerei und Architektur gebrochen. Eben jenen Scheibe, bei dem Reusch nämlich kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Berlin studiert hatte, provozierte er schon 1951 mit einer Skulptur, die auf dem Kopf balanciert. In einem letzten Akt des Respekts vor seinem Lehrer holte Reusch dessen Denkmal dann Jahrzehnte später von seinem Sockel und integrierte sie in seinen Entwurf einer abstrakten und viel subtiler pathetischen Gestaltung des Ehrenhofs.
Die reduzierte Bodenplastik lässt Interpretationsspielraum. Manche Besucher empfinden sie als Schwelle, andere als Demarkationslinie, von der die Scharfschützen zur Hinrichtung angelegt haben mögen. In jedem Fall aber teilt sie den Raum nicht nur sichtbar auf, sie errichtet im Spalt zwischen den beiden Bronzestufen auch einen unsichtbaren Raum, der unwillkürlich innehalten lässt.
Erich Reusch nimmt Ideen von Carl Andre vorweg.
Seinen komplexen Raumgedanken hat Reusch zunächst als Architekt Gestalt verliehen. Von 1953 bis 1965 war er in Düsseldorf tätig, baute Siedlungen in Westdeutschland und initiierte die Idee der Trabantenstadt in Meckenheim bei Bonn. Aber die Auseinandersetzung mit den Lobby-Interessen der Wiederaufbaujahre vergällten ihm die Architektur zusehends. Auch schien er seine radikalen Raumkonzepte in der freien Kunst besser ausdrücken zu können. Reusch konstruierte abstrakte Wandreliefs, aus denen filigrane Strukturen in den Raum greifen. Er entwarf horizontale und dezentrale Bodenskulpturen, Jahre bevor der US-amerikanische Minimalist Carl Andre damit in der Kunstwelt Furore machte. Reusch ersann imaginäre Skulpturen, die Räume von mehreren hundert Kilometern überspannen. Er experimentierte mit Laserstrahlen und Ultraschallfeldern, die seine Bildhauerei in den Raum des Lichts und des Tons erweiterten.
In der Galerie Aurel Scheibler präsentiert Reusch nun nicht nur einige ältere elektrostatische Objekte – Plexiglasboxen, in denen schwarzer Pigmentstaub so zufällige wie gestische Spuren an den Wänden hinterlässt –, sondern eine Installation von Wandarbeiten, die er auf den Ort angepasst hat. Hier schöpft der Raumkünstler aus seinem Vokabular von Formen, die er unaufhörlich anfertigt und in seinem Atelier bereithält. Unregelmäßig ausgesägte, farbig bemalte Flächen übersäen Wände, Pfeiler und Ecken des Galerieraums. Die weniger malerischen als bildhauerischen Objekte reagieren auf einander und etablieren einen allumfassenden, aber flüchtigen Bezugsraum. Im Detail setzt sich dann wieder der Architekt durch, der die Raumelemente mit wenigen Mitteln kontrolliert. Jedes Objekt ist mit nur zwei Nägeln befestigt. Ein Nagel sorgt für den Halt, während der andere seine Position definiert.
Erich Reusch, „Im Prinzip der Ersten Abteilung“, noch bis zum 9. November 2013, Galerie Aurel Scheibler, Schöneberger Ufer 71, 10785 Berlin