Die schönste Form der Manipulation
Das Auktionshaus Sotheby’s in London versteigert eine Serie von Börsenbildern des Fotokünstlers Andreas Gursky.
Die einen manipulieren die Preise, der andere manipuliert die Bilder. Börsenmakler bewegen sich mit Andreas Gursky also sozusagen auf ähnlichem Parkett. Beide kreieren eine systemische Realität, die mit der Wirklichkeit nicht mehr deckungsgleich ist. Gar nicht mehr deckungsgleich sein kann, dafür haben sich die Systeme zu rasant entwickelt.
Als Gursky seine ersten Bilder von den Innenräumen der Börsen komponierte, waren es noch analog aufgenommene Fotografien und die Finanzwelt noch in Ordnung. In „Tokyo, Stock Exchange“ von 1990 wuselt es vor Menschen in schwarzen Anzügen und dunklen Krawatten, die zwischen Computerbildschirmen und monströsen Nadeldruckern hin und her rennen. Bewegungsunschärfe hat einige zu Schemen verzerrt, andere haben sich in der Hitze des Zahlengefechts die Sakkos ausgezogen. Die Energie des Wertpapierhandels hält Gursky in der Akkumulation von Menschen auf engstem Raum fest.
Andreas Gurskys Bilder erscheinen als fotografisches Action Painting.
Wie ein allwissender Erzähler in der Literatur schwebt er auch 1997 über „Chicago Board of Trade“ und richtet seine Kamera von oben auf das Börsenparkett. Doch sein Blick ist nun noch panoramatischer, erfasst fast den gesamten Raum. Das Gewusel ist noch dichter geworden und unnatürlich bunt. Die Händler tragen grelle Jacken, um sich gegenseitig überhaupt noch zuordnen zu können. Gurskys Fotografie erscheint nun schon mehr als Malerei, als fotografisches Action Painting. Jedes Individuum ist nur noch ein Klecks Farbe. Doch auch in diesem Kessel Buntes wird vor allem Geld bewegt. Wir befinden uns in der weltgrößten und weltältesten Warenterminbörse, an der von Rohkupfer bis zu Schweinehälften alles gehandelt wird.
Auch 2008 gibt es noch den klassischen Parketthandel, obwohl sich auch das Börsengeschäft zu einem elektronischen Handel verändert hat. In der „Kuwait Stock Exchange II“ wimmeln immer noch die Makler umher. Freilich tragen sie hier weiße Kaftane und die Kufiya auf dem Kopf. Sie sind ebenso wenig auseinanderzuhalten wie ihre schwarzweißen japanischen und ihre kunterbunten amerikanischen Kollegen. Zu dieser Zeit hat sich Gursky schon voll und ganz der digitalen Bildbearbeitung verschrieben. Man kann sich also nicht mehr sicher sein, ob es sich um einen Blick ins Parkett handelt oder mehrere Blicke, die per Photoshop zu einem Bild gefügt wurden.
Eine visuelle Unsicherheit, die sich im Vergleich zur finanziellen Unsicherheit, die man nach mehreren Crashs und angesichts einer globalen Wirtschaftskrise verspürt, natürlich noch sehr komfortabel anfühlt.
Andreas Gursky erzielt auf dem Kunstmarkt Spitzenpreise.
Ungeachtet allgemeiner ökonomischer Schwarzmalerei, erzielen Andreas Gurskys Bilder auf dem Kunstmarkt Spitzenpreise. „Rhein II“ erinnert in ihrer abstrakten Geometrie entfernt an Barnett Newmans Streifenbilder und ist seit knapp zwei Jahren mit einem Ergebnis von 4,3 Millionen US-Dollar bei einer Auktion von Christie’ die teuerste Fotografie der Welt. Auch Sotheby’s hat mit Gursky schon viel Geld verdient. Seine bildgewaltige Konsumkontemplation „99 cent“ war einem Bieter 2006 fast 2,3 Millionen US-Dollar wert. In der kommenden Abendauktion bei Sotheby’s in London kann der aktuelle Marktwert von Gursky überprüft werden. Gleich fünf Bilder aus der Börsenserie kommen dort zu Schätzpreisen von 300.000 bis 900.000 Britische Pfund unter den Hammer.
Die in einem Zeitraum von fast zwanzig Jahren entstandenen Bilder erzählen von einer rasanten Entwicklung sowohl auf dem Markt für Finanzgeschäfte wie auf dem Markt für bildliche Wahrnehmung. Banker und Börsianer sind in Verruf geraten, viele machen weiter als wäre nichts geschehen. Die undurchdringlichen Ansammlungen von anonymen Maklern in Gurskys Riesenformaten kann man auch als Metapher auf die Unzulänglichkeiten eines spekulativen Finanzsystems lesen, das seine Schuldlasten hinter immer neuen Derivaten und Optionen verbirgt, in seiner globalisierten Allmächtigkeit aber immer noch fasziniert.
Andreas Gursky tanzt auf der Bildebene auf diesem schmalen Grat von Faszination und Misstrauen. Er benutzt die Möglichkeiten der computergesteuerten Bildmanipulation so virtuos wie ein Altmeistermaler seine Palette und gaukelt uns doch immer wieder vor, wir sähen bloß ein Foto. Denn wir wollen wider alle Vernunft an das glauben, was wir sehen. Und an stetig steigende Kurse.
Sotheby’s, Abendauktion, 26. Juni 2013, London (Foto: Andreas Gursky, “Kuwait Stock Exchange”, 2008, Sotheby’s London)(Die Welt)