Marcus Woeller
Kunsthistoriker & Journalist
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    55. Biennale di Venezia, Rundgang durch die Länderpavillons, Venedig

    55. Biennale di Venezia, Rundgang durch die Länderpavillons, Venedig

    31. Juli 2013
    Author: marcus
    Category: Kunst
    Tags: Ai Weiwei, Alexandra Pirici, Alfredo Jaar, Angola, Anri Sala, Bahamas, Bedwyr Williams, Biennale, Biennale di Venezia, Biennale von Venedig, Chile, Corin Sworn, Daniel Buren, Dayanita Singh, Douglas Gordon, Duncan Campbell, Edson Chuagas, England, Film, Frankreich, Georgien, Gilad Ratman, Goldener Löwe, Großbritannien, Hans Haacke, Hayley Thomson, Il Palazzo Enciclopedico, Installation, Israel, Japan, Jeremy Deller, Kanada, Kunst, Manuel Pelmus, Martín Sastre, Matthias Poledna, Mestre, Nation, Österreich, Palazzo Pisani, Pavillon, Portugal, Reenactment, Romuald Karmakar, Rumänien, Russland, Santu Mofokeng, Schottland, Shary Boysle, Simón Vega, Skandinavien, Skulptur, Sonia Falcone, Südamerika, Susanne Gaensheimer, Tanz Choreografie, Tavares Strachan, Turner-Preis, Tuvalu, Venedig, Video, Vincent Huang, Wales

    National übersättigt

    Sie werden oft belächelt oder als antiquiert abgetan. Doch die Länderpavillons der Biennale von Venedig sind der notwendige Gegenpol zur zentralen Ausstellung – ein Rundgang 

    Die Kunstbiennale von Venedig ist ein Ort für Wiedergänger. Oft als ein aus der Zeit gefallenes Relikt verhöhnt, wird sie doch alle zwei Jahre regelmäßig besucht: Scharen von (semi-)professionellen Kunsttouristen fallen über die temporär von Kunst besetzte Stadt, das Arsenale und die Giardini her. Als sei Reizüberflutung das beste Mittel gegen Übersättigung und langjährige Erfahrung die beste Medizin gegen kurzfristige Begeisterung.

    Der rumänische Pavillon hat sich dieser Wehwehchen angenommen und präsentiert einen der besten nationalen Beiträge. Länderpavillons werden gern als antiquiert abgetan, doch sie geben – bei allen Unkenrufen – auch bis heute der Mammutschau einen Sinn. Der Raum der Rumänen ist leer, die Kunst performativ. Alexandra Pirici, Choreografin aus Bukarest und Manuel Pelmuş, der als Tänzer zwischen Bukarest und Oslo pendelt, wollen der Institution Biennale ein ephemeres Monument setzen. Ihr Team von Performern appelliert an die Erinnerungen der Besucher an vergangene Biennalen und zeigt auf, wie konstruiert sie sind.

    Biennale als Reenactment

    Ihr Beitrag „An Immaterial Retrospective of the Venice Biennale“ führt Installationen, nationale Kunstbeiträge und berühmte Ausstellungen als Performance wieder auf. Die Tänzer imitieren etwa Daniel Burens Streifen- und Standbilder aus Douglas Gordons Zinedine-Zidane-Film. Oder sie reinszenieren Hans Haackes Zertrümmerung des Fußbodens im Deutschen Pavillon als deklamatorischen Akt. So macht die Truppe auf vielschichtige Weise deutlich, wie sehr die Biennale als Institution mit sich selbst beschäftigt ist und darüber der Anspruch verloren geht, ein Podium für Neues zu bieten. Den Rumänen gelingt es, den Blick zurück vollkommen aktuell zu interpretieren.

    Den Goldenen Löwen für den besten Pavillon hat trotzdem Angola gewonnen. Für die meisten überraschend, weil sich der Pavillon in einem Palazzo im südlichen Stadtteil Dorsoduro versteckt. Verdient hat ihn die Installation “Luanda, Encyclopedic City” von Edson Chuagas leider nicht: Überästhetisierte Fotos von Sperrmüll am Straßenrand zum Mit-nach-Hause-nehmen verbinden sich mit dem Blick auf eine lokale Kunstproduktion, die sich stilistisch stark am Surrealismus der 1930er Jahre zu orientieren scheint.

    Pavillon-Tausch von Deutschland und Frankreich

    Susanne Gaensheimer hatte als Kuratorin des Deutschen Pavillons den Preis schon vor zwei Jahren mit einer posthumen Ehrerbietung an Christoph Schlingensief gewonnen und also in diesem Jahr nichts zu befürchten. In diesem Jahr versucht sie, das nationale Konstrukt der Länderpavillons auszuhebeln. Sie entschied sich zunächst für den PR-Coup, mit Frankreich die Pavillons zu tauschen. Statt dem verhassten – weil von den Nazis symbolisch überformten – Bau konnte sie nun das kaum weniger pompöse, neoklassizistische Gehäuse gegenüber bespielen.

    Die vier von ihr ausgewählten Beiträge von Ai Weiwei (dekorative Schemel-Installation), Romuald Karmakar (vier Filme zu Gewalt und Massenphänomenen), Dayanita Singh (von indischen Traditionen inspiriertes Video und Buchinstallation) und Santu Mofokeng aus Südafrika (Foto-Essays) geben sich betont übernational. Sie bleiben im Detail aber sehr regional und bauen auch keine Beziehung untereinander auf.

    Und was macht Frankreich? Dort wird der albanische Künstler Anri Sala gezeigt. Der shooting star der letzten Jahre geht sehr entspannt mit der teutonischen Architektur um: Er schert sich nicht um die massige Größe, sondern pathetisiert das Volumen noch durch den Einbau einer monumentalen, tonschluckenden Innenfassade. Davor hat Sala riesige Video-Projektionen angebracht, in denen zwei Pianisten ein Ravel-Stück für die linke Hand einspielen. Eine ästhetisch durchdachte, aber auch sehr bourgeois verfeinerte Beschäftigung mit klassischer Musik. Zu ihr muss man in Salas Sichtweise auch die DJ-Kultur von Sampeln und Mixen zählen, die das Piano in den Nebenräumen paraphrasieren.

    Großbritannien zerfällt

    Great Britain steht noch über dem nächsten Haus; doch Schottland und Wales haben sich inzwischen – wie im Fußball seit langem – in eigene Domizile zurückgezogen. Wales zeigt Bedywr Williams, der sich als Sternengucker betätigt. Schottland füllt den Palazzo Pisani mit dem Dreigestirn Duncan Campbell, Corin Sworn und Hayley Thomson. Die prominente Stelle in den Giardini ist aber für England reserviert. Hier hat sich Jeremy Deller über separatistische Animositäten glücklicherweise hinweggesetzt und präsentiert eine materialreiche Recherche über die britische Gesellschaft. Der Turner-Preisträger von 2004 macht sich etwa über in London ansässige, russische Oligarchen lustig, die Venedig zu Biennale-Zeiten gern als private Spielwiese betrachten. Deller zeigt auch den genüsslich destruktiven Film „English Magic“ und sammelt Zeichnungen von Kriegsheimkehrern. Im Oberstübchen wird launig Tee serviert.

    Spektakulär inszeniert sich auch der israelische Pavillon mit einem Video-Mehrkanal-Projekt von Gilad Ratman. Den Filmszenen ging eine Performance mit vielen Beteiligten voraus, in der aus Ton groteske Skulpturen geformt wurden. Zudem mischte Ratman während des Happenings aufgenommenen sounds zu einer eindrucksvollen Geräuschkulisse zusammenmischte. Zu besichtigen ist nun ein Gesamtkunstwerk, das eine Atmosphäre der Verunsicherung erzeugt und damit unterschwellig hochpolitisch wird.

    Nur nostalgisch dagegen ist Matthias Poledna, der für den Österreichischen Pavillon einen Trickfilm im Stil der Disney-Animationen der 1940er Jahre produzieren ließ und mit einem alten Broadway-Gassenhauer unterlegte. Wunderschön anzusehen, aber etwas banal. Immerhin taugt er als erfrischende Reinigung der Sinne – Stichwort Reizüberflutung.

    Südamerika bildet Staatenunion

    Während die zentrale Ausstellung „Il Palazzo Enciclopedico“ diesmal sehr rückwärtsgewandt ist, bieten die Pavillons immerhin ein Blick auf Gegenwarts-Künstler. So wird die Biennale 2013 zu einem guten Gesamtpaket, denn es gibt viel zu entdecken. Lateinamerika hat beispielsweise in Venedig schon eine Staatenunion gebildet und bespielt eine große Halle mit Videos und Installationen: „El Atlas del Imperio“. Simón Vega repräsentiert dort El Salvador mit einem Environment, dass er aus Treibgut und Strandfundstücken zusammengeflickt hat. Martín Sastre destilliert ein Parfüm aus den Blumen im Garten des Präsidenten von Uruguay, und für Bolivien sammelt Sonia Falcone Farbpigmente und Gewürze.

    Die erstmalig teilnehmenden Bahamas hatte man bislang nicht auf der künstlerischen Landkarte verzeichnet. Durch das gezeigte Werk von Tavares Strachan darf sich der Inselstaat aber nun sehr umfassend repräsentiert fühlen dürfen: Tavares’ Fotos, Installationen und Skulpturen erinnern in ihrer Begeisterung für kalte Klimazonen etwas an Olafur Eliasson. Kanada zeigt skurrile Keramiken und Videoinstallationen von Shary Boyle. Der Chilene Alfredo Jaar ist ein alter Bekannter des Kunstbetriebs: Diesmal schaut er in die Zukunft Venedigs und lässt ein Modell der Giardini im Kanalwasser versinken. Vergangenheitsselig wirkt dagegen Ägypten: Der gezeigte Kulturkitsch fällt weit hinter den Aufbruch des „Arabischen Frühlings“ zurück, der vor zwei Jahren auch in Venedig präsent war. Russland lässt Goldmünzen auf Frauen niederregnen, während sich Georgien mit einer Gruppenausstellung in der „Kamikaze Loggia“ eher von der sperrigen Seite zeigt. Japan recycelt einfach die Überbleibsel seines Beitrags zur Architekturbiennale 2012. Die skandinavischen Länder beschäftigen sich eingehend mit dem Umbau ihrer Pavillons, während Portugal gleich auf ein Schiff umzieht.

    Und Tuvalu? Der abgelegene Zwergstaat im Pazifischen Ozean ist zum ersten Mal dabei und wählt auch auf der Biennale einen Ort, wo nur selten jemand hinkommt: Mestre. Dort ist die Installation “Destiny Intertwined” aus Fotos und Pinguin-Skulpturen; angefertigt vom Taiwan-Chinesen Vincent Huang. Dorthin dürften sich nicht viele Besucher verirren: Venedigs unansehnliche Nachbargemeinde auf dem Festland wird von der Kunstmeute gemieden. Doch die Venezianer müssen längst hier wohnen, weil ihre Heimatstadt nicht nur in die Fänge der Touristen, sondern auch der Immobilienspekulanten geraten ist.

    55. Internationale Kunstausstellung, Biennale di Venezia, noch bis zum 24. November 2013, Giardini & Arsenale, Venedig (Foto: Alfredo Jaar, Chilenischer Pavillon, 2013 © Susanne Röllig)

    (kunst+film)

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    Marcus Woeller

    Ich lebe in Berlin und arbeite als freier Journalist und Redakteur. Meine Reportagen, Berichte und Kritiken über Kunst und Architektur, Mode und Design, Räume und Orte, Essen und Trinken habe ich in der tageszeitung, der Welt und der Welt am Sonntag, der Frankfurter Rundschau, dem Tages-Anzeiger Zürich, der Berliner Morgenpost, bei artnet und anderen Onlinemedien veröffentlicht Als Kulturredakteur und Textchef gab ich dem Magazin Style and the Family Tunes Inhalt und Schliff. Ich habe als Videoredakteur gearbeitet und das Projektmanagement für verschiedene Corporate-Publishing-Formate geleitet.

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